Harzring für Anfänger - oder - Das erste Mal auf der Rennstrecke

#1 von muelli , 06.03.2016 23:40

Mit freundlicher Zustimmung der Zeitschrift Cirquit
Text: Stefan Eichhorn

Was kann es Schöneres geben, als der ausgemachten Lieblingsbeschäftigung zusammen mit seinem Lebensgefährten nachzugehen - vor allem, wenn es sich dabei ums Motorradfahren handelt. Dabei ist aber auch eines relativ sicher: Das gesamte Thema birgt gelegentlich leicht entflammbaren Zündstoff. Das ist auch bei Birgit und Stefan (die Namen sind frei erfunden) ab und an der Fall. Die beiden sind in jeder freien Minute zusammen auf dem Motorrad unterwegs.

Stefan ist praktisch auf zwei Rädern auf die Welt gekommen und fährt seit vielen Jahren. Birgit steht auch auf Motoren. Nur hat sie ihren Motorradführerschein noch nicht so lange und fährt erst in der dritten Saison. Sie hat sich mittlerweile zu einer wunderschönen 2009er Fireblade aufgeschwungen. Die Honda ist einer der wenigen Supersportler, bei dem ihre Füße einigermaßen sicheren Stand auf dem Boden finden. Die Größte ist Birgit nämlich nicht. Manchmal fällt es ihr schwer, die Blade richtig in den Griff zu kriegen, denn die Routine fehlt. Auch wenn sie bei Rennstreckeneinsätzen eine gute Figur macht, kommt es bei gemeinsamen Touren immer wieder vor, dass es Probleme und Unsicherheiten beim langsamen Rangieren gibt.
Kritische Kommentare Stefans führen dann zu oft wenig beziehungsfördernden Diskussionen. Aber nicht nur den Beiden geht das so. Kürzfich waren sie mit einem befreundeten Pärchen unterwegs. Sie: "Ich komme mit der F4 nicht - zurecht" Er: "Stimmt, manchmal bist Du ein
wandelndes Verkehrshindernis!" Sie: heult
Stefan und Birgit haben sich entschieden, hier endlich Abhilfe zu schaffen. Kraft- und Größendefizit soll durch Übung und Geschick ausgeglichen werden. Training ist angesagt Zusammen haben sie ein Fahrsicherheitstraining gebucht Stefan fungiert dabei in der Hauptsache als Busfahrer und Betreuer, Da er sich bei Renntrainings besser auskennt als bei Fahrschulen, fiel seine Wahl auf eine Veranstaltung bei dem unter Motorsportlern bestens bekannten Rennarzt, Veranstalter von Trainings und Rennen, Dr. Christoph Scholl, alias
Doc Scholl.

Ort des Geschehens: Der Harzring im südlichen Sachsen-Anhalt in der Nähe von Oschersleben. Die Anlage ist zwar die größte Motorsportanlage am Harz, fällt mit seiner Streckenlänge von rund 1.100 Meter, einer Strecken breite von zehn bis 15 Metern, acht Rechts- und fünf Linkskurven für große Motorräder eher unter die Kategorie Micki-Maus-Kurs. Der Rundkurs bietet sich in der Hauptsache für Supermotos und Karts an. Für ein Sicherheitstraining und nicht so geübte Biker ist er als Trainingsgelände aber nahezu ideal. Ein Teil des Trainings soll außerdem auf einem nahegelegenen Flugplatz durchgeführt werden. Birgit und Stefan kommen am Vorabend des Trainings auf dem Harzring an, laden die Honda aus und übernachten gemütlich nach einem üblichen Rennstrecken-Grillmenü im Transit. Neben Stefan und Birgit landet noch ein Pärchen. Sabine und Ralf laden ihre Bikes ab. Die abgeklebten Spiegel und Scheinwerfer deuten auf Rennstrecken-Fans hin. Nach einem kurzen Hallo erzählt Sabine: "Ich bin kürzlich bei einer Ausfahrt unsanft im Graben gelandet. Hier will ich wieder Vertrauen in meine Fahrerei gewinnen.

" Einleben im Fahrerlager"
Der nächste Morgen startet mit geschäftigem Treiben auf dem Parkplatz. Doc Scholl hat über 40 Teilnehmer für die Veranstaltung gewinnen können. Die meisten haben zwei Tage gebucht. Basic-Aufbautraining und Sicherheitstraining PLUS nennt der Doc sein Konzept. Das Tagestraining kostet faire 13S Euro.

Stefan scannt mittlerweile das Feld. Die verschiedensten Kategorien von Motorrädern sind vertreten, bewegt von Damen und Herren. Doc Scholl verrät, ohne das zu werten: "Der Frauenanteil liegt bei uns immer bei etwa 14 Prozent." Allzu hoch erscheint dieser Anteil allerdings nicht, geht man davon aus, dass das Sicherheitsbedürfnis auf zwei Rädern bei Männern wie Frauen doch mindestens gleich stark ausgeprägt sein dürfte. Auf dem Platz stehen Chopper, große BMW mit Vollausstattung und aufmontierten Kleiderschränken genauso wie Enduros, ältere Sportler mit abgeklebten Lichtern und sportliche Naked-Bikes. Eine Gruppe ist auf Benelli TNTs unterwegs.

Aufgemotzte Ringgeräte fehlen natürlich. Überhaupt - so breit gefächert wie die Palette
der Bikes auf dem Harzring, so unterschiedlich ist die Motivation der Teilnehmer. Sie geht vom jungen oder auch älteren Führerscheinneuling, dem Wiedereinsteiger über Gestürzte und Wiederaufgestandene bis hin zu "jungen Wilden" mit Motocross-Erfahrung, die noch nicht viele Kilometer auf der Straße gefahren sind.

Einige haben das Training von fürsorglichen Freunden oder von der Familie geschenkt bekommen. Aber egal warum die Fahrer da sind, die Investition lohnt allemal. Laut einer aktuellen Dekra-Umfrage, würden es rund 54 Prozent aller Motorradfahrer begrüßen, an einem Sicherheitstraining teilzunehmen. Stellt sich die Frage: Warum tun sie es nicht? Doc Scholl versteht das auch nicht: Motorradfahren ist doch Sport. Und ich kenne keine Sportart, die man vernünftig ohne eine gute Grundausbildung ausüben kann.

Bei uns wird auch der Einsteiger an das Thema Motorradfahren herangeführt. Wir tun uns manchmal wirklich schwer, die Sicherheitstrainings mit Teilnehmern zu füllen. Ich bin davon überzeugt, dass man am besten auf einer systematisch antrainierten Grundlage gut aufbauen kann. Manche sind dann so begeistert, dass sie später auch zu unseren Renn- oder Fahrertrainings kommen. Ob man dann Rennen fahren will, ist ein weiterer Entscheidungsprozess." Dr. Scholl kann auch darauf verweisen, dass seine Einstellung Früchte trägt. Er erzählt: "Wir haben erst über den Jahreswechsel in Spanien wieder ein Renntraining mit Rennen veranstaltet. Dabei gab es keine einzige Verletzung. Wir haben wahrscheinlich die niedrigste Unfallquote bei solchen Veranstaltungen."

Vor dem großen Start
Teilnehmerbesprechung. Christoph Scholl stellt freundlich sich und sein großes Team von Instruktoren vor und erklärt den Ablauf. Leider steht das Gelände des Flugplatzes an dem Tag nicht mehr zur Verfügung, aber darauf wird flexibel reagiert. Das Gelände des Harzrings ist so weitläufig, dass die geplanten Basisübungen auf verschiedenen Plätzen stattfinden können. Dann verteilt der Doc die Teilnehmer auf die Instruktoren in Gruppen mit fünf oder sechs Bikern. Was auf das Publikum an Programm zukommt, ist geprägt von der Philosophie des Chefs, wie er sich Motorradfahren lernen vorstellt: "Am besten funktioniert so ein Training als eine Kombination aus Theorie, gezeigt bekommen, wie es geht und dann selbst üben." Sein Konzept setzen die erfahrenen Instruktoren nicht nur kompetent, sondern auch noch ziemlich unterhaltsam um. Die Gruppen verteilen sich mit ihren Maschinen auf dem Gelände des Harzrings.

Das stellt für manchen bereits die erste kleine Herausforderung dar, denn zwei der Übungsplätze sind nur über tiefen Schotter, schmale Wege, um enge Hausecken und Tore zu erreichen. Auf dem Platz angekommen, gibt Sabine bei Instruktor Klaus unumwunden zu: "Ich hatte gerade auf dem Schotter schon die erste Panikattacke!" Klaus kennt solche Ängste natürlich und geht deshalb bei allen Übungen mit seiner Gruppe zwar locker und humorvoll, aber auch einigermaßen unnachgiebig um. Er erklärt: "Das Moped tut euch nichts, das Moped ist lieb. Daran müsst ihr immer denken."

Ganz offensichtlich haben die meisten damit noch ein Problem, denn die Dinge, die die Doc-Scholl- Truppe einüben lässt, hätte vermutlich keiner der Teilnehmer zuhause versucht, zum Beispiel um das frei stehende Motorrad herumlaufen und es nur mit einer Hand fixieren. Klaus macht es vor und benutzt stellenweise sogar nur einen Finger. Dann muss jeder selbst ran.

Dabei ist es erstaunlich zu beobachten, wie die anfängliche Unsicherheit mit jeder Minute verschwindet und der Spaß an der Sache immer größer wird. Mehrere Übungen werden am stehenden, später auch auf dem fahrenden Motorrad verlangt. Sehr beliebt und mit viel Wackeln sind in der Endausbaustufe ganz enge Kreise am Lenkanschlag, extremes langsam rollen und freihändiges Kurven fahren. Der Schwierigkeitsgrad steigt im Laufe des Tages. Auch die Technik kommt nicht zu kurz. Ziel der Trainer ist es, den Schülern beizubringen, wie sie eigenverantwortlich nach dem Winter oder bei Fahrtantritt zumindest die wichtigsten sicherheitsrelevanten Teile zu überprüfen - Bremsen, Lenkung und Kette.

Die Zeit vergeht wie im Flug. Langeweile ist hier ein Fremdwort. Ab auf den Ring In der Mittagspause steht Doc Scholls "Wellness-Box" offen. Es gibt umsonst Getränke, Süßigkeiten, Obst und Müsliriegel. Die ersten Erfahrungen können untereinander ausgetauscht werden und die Zeit wird gerne für den Plausch genutzt.

Wer aufmerksam den Ring im Auge hat, kann beobachten, wie der Chef selbst ein paar Runden dreht und feststellen, dass der Mann nicht nur in der Theorie etwas vom Fahren versteht. Er lässt sein Alteisen in beeindruckender Manier um die engen Kurven wedeln. Respekt!

In ganz ähnlicher Weise wie bei den Basisübungen werden die lernwilligen Bikerinnen und Biker behutsam an den winkligen Harzring herangeführt. Das geschieht zunächst zu Fuß. Die Instruktoren zeigen den Kurs und erklären die Eigenheiten der engen Kurven in einzelnen Streckenabschnitten per pedes. So entgeht keinem ein wichtiges Detail. Auch auf den Maschinen werden die Teilnehmer nicht gleich auf die komplette Runde gelassen. In Sektionen aufgeteilt erklären die Doc-Scholl-Lehrer ihren Schützlingen den Kurs. Erst als alle jede einzelne Kurve abgespeichert haben, werden ganze Runden gefahren. Die Krönung des Tages ist dann am Nachmittag freies Fahren. Am Schluss kommen alle mit leuchtenden Augen zurück in die Boxengasse. Es ist sehr wahrscheinlich, dass man den einen oder die andere in den kommenden Monaten auf einer Rennstrecke wieder treffen wird. Das Handling des Bikes hat sich bei allen deutlich verbessert. Dr. Scholl rundet den Tag abends mit einem Vortrag über Schutzkleidung ab. Mehr kann man für mehr Spaß und Sicherheit auf dem Moped wohl kaum tun.
www.doc-scholl.de

 
muelli
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